Tausche Zwickmühle gegen Getreidemühle: Bericht über eine Exkursion zu den Paysans Boulangers (auf deutsch: BäuerInnen/ BäckerInnen)

Eindrücke von der Hofbäcker*innen-Exkursion der AbL und der Freien Bäcker 26.-28.5.2019 in der Region Burgund, Frankreich

Ende Mai fand eine Exkursion von Bäcker*innen und Landwirt*innen aus ganz Deutschland zu Berufskolleg*innen nach Frankreich statt. Der Austausch wurde von Mitgliedern der AbL und der Freien Bäcker (Unabhängige Berufsorganisation handwerklich arbeitender Bäcker*innen und Konditor*innen) initiiert, welche sich jeweils gegen den Strukturwandel in ihren Berufen wehren und großes Potential in der engeren Vernetzung miteinander sehen. Im Fokus der Reise standen Austausch und Vernetzung in Bezug auf die Erhaltung lokaler Getreidesorten und deren Inwertsetzung durch Veredelung in hofeigenen Backstuben.

Wenige Tage nach Ankündigung der Exkursion bestand schon eine Warteliste und es war klar: Auch über die beiden Fachorganisationen hinaus gibt es ein großes Bedürfnis, sich auszutauschen und gemeinsam weiterzubilden!

 


Das Interesse an der Exkursion wird verständlich, wenn sich die aktuelle Situation im Bereich von Saatgut und Sortenvielfalt etwas genauer angeschaut wird

In Deutschland wird aktuell etwa ein Viertel der verfügbaren Anbaufläche mit Winterweizen bestellt (1;2). Bei noch genauerer Betrachtung zeigt sich, dass dies mit sinkender Vielfalt einhergeht. Nicht nur im Sinne von engen, getreidereichen Fruchtfolgen, sondern auch in Bezug auf die Anzahl der angebauten Sorten und die Variabilität innerhalb einzelner Sorten. Der Verlust von Diversität auf Genomebene ist aufgrund seiner Irreversibilität besonders besorgniserregend. Wobei auch diesem Vielfaltsverlust noch entgegengesteuert werden kann, vorausgesetzt politischer Wille und Handeln stehen dem nicht entgegen. Der Hauptgrund für den Fokus im Anbau auf Homogenität, Rohproteingehalt und Ertrag der gezüchtete Sorten sind die Anforderungen der industriellen Weiterverarbeitung an den Rohstoff Getreide. Zunehmend etablieren sich zwar auch in der konventionellen Züchtung Standfestigkeit und Resistenzen als Zuchtziele, jedoch wird weder besonderer Wert auf Geschmack und ernährungsphysiologische Wertigkeit, noch auf lokale Angepasstheit von Sorten und deren Vermögen, sich Nährstoffe aus dem belebten Boden selbst anzueignen, gelegt. Die Konsequenz des derzeitigen Wirtschaftens ist die flächendeckende Reduktion auf wenige Sorten. Gleichzeitig existiert die zu bewahrende Vielfalt weiter: Einerseits sind es alte Sorten, häufig regionale oder gar Hofsorten, die züchterisch weiterentwickelt werden können. Andererseits gibt es vermehrt Ansätze, bei denen Vielfalt und Reaktionsvermögen auf veränderte abiotische Einflüsse durch Sortengemische oder auch Populationsramsche angestrebt werden.

Ähnlich wie in der Landwirtschaft zeigt sich auch im Bereich von Bäckerei und Müllerei seit Längerem, dass „größer“ nicht unbedingt „besser“ bedeutet und mehr Kontrolle über einzelne Verfahrensschritte keine Garantie für Qualität und schon gar nicht für die Minimierung von Umwelteffekten ist. Probleme wie die Verdrängung kleiner Betriebe und regionaler Strukturen, Mangel an Nachwuchs bzw. Nachfolger*innen, Verlust handwerklichen Könnens und Abhängigkeit von großen Unternehmen treiben die Akteure der gesamten Wertschöpfungskette um.

In Frankreich gibt es seit einigen Jahren eine Bewegung von Menschen im ländlichen Raum, den sogenannten „paysans boulangers“ (auf Deutsch: Bäckerbäuerinnen und -bauern). Sie setzen wieder vermehrt darauf, alte Sorten zu erhalten, zu vermehren und im Anschluss das Getreide selbst zu vermahlen und daraus Brot zu backen. Die handwerkliche Verarbeitung schafft eine höhere Wertschöpfung, die es möglich macht, die eventuell geringeren Erträge auszugleichen. Außerdem bietet der Aufbau regionaler Strukturen und die Etablierung einer Verbindung zwischen Rohstofferzeugung, Müllerei und Bäckerei Perspektiven für kleine und mittlere Betriebe sich von der vorherrschenden industriellen Produktionslogik zu lösen.

Im Rahmen unserer Exkursion wurden drei Betriebe im Umland von Dijon besichtigt, welche sich auf diese Art und Weise auch in Zeiten von „Wachsen oder Weichen“ ihren Platz auf dem Land erkämpfen.

In Bezug auf den Anbau ähnelten sich die Betriebe stark. Die weiten Fruchtfolgen umfassten Ölfrüchte (Leindotter, Raps), Getreide (Einkorn, Dinkel, alte Weichweizensorten, Hartweizen bzw. Khorasan, Emmer, Roggen, Braugerste), Körnerleguminosen (Erbsen, Ackerbohnen, Linsen) sowie Futterbau mit Kleegras und Luzerne. Auf den besichtigten Höfen wurde dem Zwischenfrucht-, Mischfrucht- und Untersaatanbau eine große Rolle eingeräumt. Die Aufbereitungstechnik umfasste Siebreiniger mit Steigsichter und Trieur, sodass die runden und länglichen Gemengepartner effektiv getrennt werden konnten. So wurden zum Beispiel Linsen mit Leindotter bzw. Braugerste als Stützfrucht im Gemenge angebaut, welche später separiert und getrennt vermarktet wurden. Sofern möglich, wurden die Ernteprodukte veredelt und direkt vermarktet in Form von Brot, Nudeln, Öl, Körnerlinsen und Bier.

Während die ersten beiden Stationen reine Besichtigungen waren, auf denen viele interessante Gesichtspunkte besprochen wurden, konnte in der letzten Bäckerei der gesamte Backprozess von französischem Landbrot miterlebt werden und ein fachlicher Austausch stattfinden. Unsere französischen Kollegen freuten sich über das Gastgeschenk: Brezeln, welche ebenfalls gemeinschaftlich vor Ort gebacken wurden.

Faszinierend war neben der Ausstattung der Backstuben vor allem der ganzheitliche Ansatz vom Aussäen des Getreides bis hin zum fertigen Brot. Die Fähigkeit und Flexibilität der Bäcker mit den Besonderheiten der verwendeten Getreidesorten umzugehen, erfordert Wissen, Wollen und Können. Es stellte sich tatsächlich das Gefühl ein, „eine schöpferische, sinnstiftende Kulturtechnik zu erleben“ (3).

Wie im Anbau ähnelte sich auch die technische Ausstattung der Bäckereien in vielerlei Hinsicht. Gebacken wurde bei allen dreien in einem aus Spanien stammenden Holzofen mit separatem Brennraum. Die Backfläche bildete ein Backstein von 3 Metern Durchmesser. Er konnte von außen gedreht werden und ermöglichte eindrucksvolle Einblicke während des Backens: Nach und nach konnte man die eingeschossenen Brote an sich vorbeiziehen lassen und sehen wie sie langsam aufgingen und braun wurden.

Teige wurden teilweise von Hand in einer hölzernen Backmolle gemischt und geknetet, dann in Wannen verteilt und die Straffung des Teiges durch Dehnen und Falten erreicht. Ansonsten kamen schräg rotierende Knetmaschinen zum Einsatz, die in Deutschland eher untypisch sind.

Auch das System zur Getreidevermahlung war in den drei Betrieben gleich. Der von den Gebrüdern Astrié konstruierte Mechanismus besteht aus einem klassischen Mahlgang, bei dem ein Läuferstein über den fixierten Bodenstein rotiert. Das sich daran anschließende Siebsystem ermöglicht die Gewinnung verschieden feiner Mehle. Funktionsbedingt geht die Getreideschale aus dem Mahlprozess als Nebenprodukt hervor und wird als Tierfutter verwendet, was im Gegenzug bedeutet, dass nicht das gesamte Korn beim Backen verwendet wird.

Ein weiterer interessanter Aspekt, der zur Sprache kam, ist, dass in Frankreich der Nachweis einer landwirtschaftlichen Ausbildung Voraussetzung für eine Niederlassung als Landwirt ist. Zudem gibt es eine Mindestgröße, welche landwirtschaftliche Betriebsneugründer nachweisen müssen – eine Ausnahme von der Regelung gibt es, wenn ein weiterer verarbeitenden Betriebszweig aufgebaut wird. Hier wird noch einmal deutlich, welche neuen Möglichkeiten sich den dortigen Landwirt*innen mit der Perspektive der Hofbäckerei erschließen können!

Über die Betriebsbesichtigungen hinaus gab es am Abend die Möglichkeit, sich mit Vertretern eines regionalen Getreidevielfaltsnetzwerks, einer Landwirtschaftsschule und einer Forscherin auszutauschen. Auch hier wurde deutlich, wie stark die Themen der bäuerlichen und handwerklichen Wertschöpfungskette dort vor Ort bereits etabliert sind.

Das regionale Netzwerk „graines de noé“ (Noahs Körner) stellt Bäuerinnen und Bauern auf Anfrage kleine Chargen von alten Sorten zur Verfügung, welche sie selbst vermehren können. Außerdem werden Fortbildungen zu Getreideselektion, -aufbereitung und Bäckerkurse angeboten. Neben der fachlichen Unterstützung, welche Landwirt*innen erfahren können, spielt die Vernetzung mit Berufskollegen*innen eine große Rolle. Positive Effekte, die sich daraus ergeben können sind etwa Maschinengemeinschaften oder Arbeitsgruppen zur Maschinenkonstruktion.

Das französische landwirtschaftliche Forschungsinstitut INRA hat ebenfalls erkannt, welches Potential in genetisch vielfältigen Sorten und daraus verbackenem Sauerteigbrot steckt. In einem Projekt untersuchten und belegten sie erstmals, die unglaubliche Vielfalt an Mikroorganismen, welche sich im Backprozess erreichen lässt. Es wird davon ausgegangen, dass darin etwa die bessere Verträglichkeit der Endprodukte begründet liegt.

Durch den Austausch wurde deutlich spürbar, wieviel Potential die Vernetzung auch über die Landesgrenzen hinweg bietet. Es gibt zu viel zu tun, zu erforschen, zu erhalten, als dass man es sich leisten könnte, diese Arbeit doppelt zu machen. Und ganz im Sinne der Bäcker*innen und Landwirt*innen, welche sich zusammenschließen und voneinander lernen, nahmen die Teilnehmer*innen frischen Wind mit. Ebenso auch Impulse, sich in Deutschland häufiger zusammen zu tun und sich gegenseitig zu unterstützen und damit uns selbst voran zu bringen.

Zur weiteren Vertiefung:

Die Freien Bäcker e.V.: www.die-freien-baecker.de

Baupläne und Anleitungen zum Bau von Agrartechnik: www.latelierpaysan.org

Bäckerfachbegriffe: www.baeckerlatein.de

Holzbacköfen Herstellerseite J.Llopis Barcelona: jllopis.com/hornos/

Holzbacköfen Herstellerseite Sebastia: www.hornossebastia.com/productos

Französisches Netzwerk Bäuerliches Saatgut: www.semencespaysannes.org

Landwirtschaftsschule Montmorot: www.montmorot.educagri.fr/cfppa/

Infokasten 1 „Landsorte – Sortenmischung – Population?!“:

Da kann einem schon etwas schwindelig werden, angesichts der ähnlichen Begrifflichkeiten.

Eine Sorte bezeichnet Kulturpflanzen, die sich eindeutig von weiteren Sorten derselben Art unterscheiden lassen. Rechtlich bedeutet das, um den Ansprüchen des Sortenschutzes und den Kriterien des Saatgutverkehrsgesetzes zu genügen, müssen alle Pflanzen einer Sorte homogen aussehen, sich von allen bisher existierenden Sorten unterscheiden und bei Nachbau dürfen die Pflanzen kommender Generationen sich optisch von ihren Elternpflanzen nicht unterscheiden.

Landsorten sind in wesentlichen Merkmalen identische Pflanzen einer Art, allerdings dürfen die Pflanzen sich in einzelnen Merkmalen leicht voneinander unterscheiden. Sie weisen dadurch eine höhere genetische Variabilität auf, welche vor allem dann zum Ausdruck kommt, wenn sich die Umweltbedingungen ändern oder das Saatgut in einer anderen agrarökologischen Region angebaut wird, und dadurch die Pflanze gefordert ist, sich anzupassen. Dies trifft in der Regel auf alte Sorten zu, da diese nicht so stark auf einzelne Merkmale selektiert wurden (4). Häufig sind Landsorten historisch in einer bestimmten Region entstanden.

Der Begriff Sortenmischung bezeichnet den gemeinsamen Anbau verschiedener Sorten. Die Absicht hinter dem gemeinsamen Anbau ist, eine breitere genetische Variabilität auf dem Feld zu haben. Diese kann zu einer erhöhten Anpassungsfähigkeit an verschiedene Umweltbedingungen führen und steigert häufig die Ertragssicherheit. Wird eine Sortenmischung über Jahre aus dem, auf dem eigenen Hof gewonnenen Saatgut nachgebaut, entsteht eine spezifische (hoftypische) Zusammenstellung der Ursprungssorten. Diese wurden durch die Standortverhältnisse und die jeweiligen Witterungsbedingungen selektiert die bestgeeignetsten Sorten können sich über die Zeit in der Mischung durchsetzen.

Populationen sind verglichen mit homogenen Sorten genetisch und optisch divers. Durch die damit verbundene Vielfalt an Eigenschaften haben Populationen häufig eine hohe Ertragsstabilität: Die Vielfalt ermöglicht flexiblere Reaktionen der Population auf verschiedene Umweltbedingungen. Entscheidend ist hierbei, dass es nicht darum geht, alleinig den Ertrag zu maximieren, sondern den Anbau dahingehend zu optimieren, dass die Heterogenität aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften und Resistenzen Risiken abpuffert und so die Ertragssicherheit gesteigert wird.

Es gibt mehrere Methoden, Populationen züchterisch zu entwickeln. Grundlage sind in der Regel mehrere Kreuzungen verschiedener Elternlinien. Aus den Kreuzungen entstehenden Pflanzen werden keine einzelnen Pflanzen selektiert, sondern eine größtmögliche Vielfalt guter Nachkommen wird gemeinsam vermehrt. Dadurch ist die genetische Vielfalt in der dritten und vierten Generation noch sehr groß. Anschließend ist ein Anbau der jungen Populationen auf verschiedenen Höfen möglich. Hierbei passt die Selektionswirkung der unterschiedlichen Felder bei den Landwirt*innen die Population optimal an den jeweiligen Standort an. Diese „Hofsortenentstehung“ kann für bestimmte Zuchtziele zusätzlich mittels gezielter Züchtungsmaßnahmen gelenkt werden (5).

Infokasten 2 „paysan boulanger“: Direkt übersetzt bedeutet „paysan boulanger“: Bäcker Bauer. Verwendet wird der Begriff für Menschen, welche auf ihrem Hof Getreide anbauen, dieses aufbereiten und selbst verbacken. Es gibt wenige Landwirtschaftsschulen in Frankreich, die im Rahmen der landwirtschaftlichen Erwachsenenbildung eine Vertiefung für „Bäcker Bauern“ anbieten. Die offizielle Berufsbezeichnung lautet dann allerdings trotzdem „Landwirt*in“. Praktisch ist dies an der Landwirtschaftsschule Montmorot so organisiert, dass innerhalb der landwirtschaftlichen Erwachsenenbildung ein Schwerpunkt zu Getreideanbau, -aufbereitung und -verarbeitung gewählt werden kann. Alle Schüler können sich dann gemäß den eigenen Interessen nochmals einen eigenen Modulplan zusammenstellen. Selbst eine Anmeldung von Interessent*innen aus Deutschland ist aufgrund der Förderung der Schule durch die EU möglich.

In der Mehrheit arbeiten die „paysan boulanger“ ohne chemische Pflanzenschutzmittel und mineralische Dünger, sind jedoch nicht zwangsläufig zertifizierte Öko-Betriebe. Verlässliche Zahlen über die Verbreitung der Betriebe gibt es nicht, die Schätzungen liegen zwischen 500 und 2000 für ganz Frankreich, wobei die regionale Dichte im Süden, aufgrund von kleinstrukturierterer Landwirtschaft, höher ist. Ebenso gibt es keine Vereinigung, welche diese Berufsgruppe zusammenfasst oder nach außen hin vertritt. Somit gibt es auch keine Richtlinien oder Regeln, die Voraussetzung für die Verwendung der Bezeichnung „paysan boulanger“ sind. Allerdings bestehen sehr viele personelle Überschneidungen mit den lokalen Saatgut-Netzwerken. Diese beschäftigen sich infolgedessen häufig auch mit Weiterbildungen im Bäckerhandwerk und sind frankreichweit im „réseau sémences paysannes“ (Netzwerk Bäuerliches Saatgut) zusammengefasst.

Quellen:

Artikel geschrieben von Mareike Artlich und Florian Demelt