Handwerk in Abgrenzung zur industriellen Fertigung

Intro

Eine Legaldefinition des Begriffs ‚Handwerk‘ gab es und gibt es aktuell nicht. Die allgemeine Auffassung was ‚Handwerk‘ ist und was nicht, deckt sich nicht mit den Regelungen gemäß der Handwerksordnung.

Die Betriebe, die formal dem Handwerk zugerechnet werden, lassen sich in drei Kategorien einteilen, in: industriell, nicht klar zuzuordnende und handwerklich arbeitende Betriebe. Die Betriebe, die in dem Unschärfebereich zwischen Industrie und Handwerk liegen, greifen in Teilen oder nahezu vollständig auf industriell vorgetane Arbeit zurück und/oder produziert selbst teil-industriell.

 


 

Die Notwendigkeit, handwerklich arbeitende Betriebe klar kenntlich zu machen, leitet sich von der vielfältigen gesellschaftlichen Bedeutung und von der Leistungsfähigkeit des faktischen Handwerks ab. ‚Handwerk‘ muss deshalb heute - entgegen den formalen Kriterien der Handwerksordnung oder der Zugehörigkeit zur Handwerkskammer - an qualitativen Kriterien gemessen werden.

Was kennzeichnet Handwerk?

Bei der handwerklichen Fertigung oder Reparatur dienen Maschinen als Werkzeug - zur Erleichterung der manuellen Tätigkeit und zur Unterstützung der Handfertigkeiten. Die grundlegenden Tätigkeiten des jeweiligen Berufsbildes, werden in einem Handwerksbetrieb selbstständig von Fachkräften ausgeführt. Beispielsweise in einer Bäckerei alle Schritte von der Produktentwicklung über die einzelnen Abschnitte der Herstellung bis zur Steuerung des Backprozesses. Hingegen kennzeichnet die industrielle Fertigung eine weitgehende Arbeitsteilung.

Ein weiteres Merkmal ist die persönliche Mitarbeit der Betriebsinhaber*innen bzw. der verantwortlichen Betriebsleitung im handwerklich-fachlichen Bereich. Sie verfügen über ausreichende Kenntnisse zu den einzelnen Aufträgen und Arbeitsvorgängen sowie über die entsprechende Zeit und Möglichkeit zur Planung, Anweisung, Überwachung, Kontrolle und Einwirkung im handwerklich-fachlichen Bereich.

Von rein handwerklicher Fertigung kann dann gesprochen werden, wenn nicht auf industrielle Vorarbeit und Prozesstechnik zurückgriffen wird. Um beim Beispiel der Bäckerei zu bleiben, in einer faktisch dem Handwerk zuzuordnenden Bäckerei werden nicht verwendet:

  • Convenience-Produkte (Backvormischungen, industriell gefertigte Teiglinge) und isolierte Zusatzstoffe, wie etwa technische Enzyme oder Emulgatoren, deren Einsatz die Herstellungsprozesse deutlich vereinfacht, zeitlich verkürzt und die Gebäckeigenschaften verändert;
  • Technik, die die Hersteller dazu zwingt, den Rohstoff an das Herstellungsverfahren anzupassen - statt das Verfahren an den Rohstoff.

In einem Handwerksbetrieb werden auf der Grundlage von umfangreichem Wissen und handwerklichen Fertigkeiten alle Phasen der Herstellung selbstständig ausgeführt.

Handwerk, als schöpferische, sinnstiftende Kulturtechnik gelebt sowie dem Gemeinwohl und einer sozialen und fairen Unternehmenskultur verpflichtet, erfüllt zahlreiche gesellschaftliche Funktionen.  Aus dieser ganzheitlichen Qualität resultiert, dass kaum ein Wirtschaftsbereich so eng in Innovationsprozesse eingebunden ist wie das Handwerk.

(vgl. M. Astor u.a. in Zukunft Handwerk! - Der Beitrag des Handwerks im Innovationsprozess, Prognos Studie 2006)

Das Bestreben, Handwerk zu erhalten und zu fördern, ist keine Nostalgie sondern zukunftsweisend

Handwerkliche Lebensmittelhersteller, die in der skizzierten Weise arbeiten, sind in der Lage, souverän und unabhängig nachhaltig erzeugte, unbehandelte Rohstoffe aus der Region zu verarbeiten und daraus Lebensmittel zur Versorgung von Stadtteilen und Dörfern der Region herzustellen. Sie sind in der Lage, zu einer agrarökologischen (sozial und ökologisch gerechten) Umgestaltung des Agrar- und Ernährungssystems beizutragen, bei der Bauern und Bäuerinnen, handwerkliche Lebensmittel-hersteller*innen und Verbraucher*innen im Zentrum der Entscheidungen stehen.

Handwerk - mit Verantwortung gelebt – ist: standortverbunden, stärkt die Region, schafft und erhält sinn- und identitätsstiftende Arbeitsplätze, bietet qualifizierte Ausbildungen, zeigt hohes Engagement für die lokale Gemeinschaft, stellt den Mensch in den Mittelpunkt, ist durch Denken von Herausforderungen, ihren Lösungen und ihrer Umsetzung ganzheitlich, ist integrativ.

Abschließend ein Zitat:

„Die Natur kennt kein grenzenloses Wachstum. An der Grenze – wenn der Stress zu groß wird – brechen Systeme zusammen oder verändern sich. Neue Teilsysteme entstehen, Spezialisten bilden sich heraus und werden Teil einer neuen oder einer komplexeren Ordnung. Die Lösung liegt nie dauerhaft im ‚Mehr vom Gleichen‘. Entscheidend für die Zukunft unserer Kultur ist, ob es uns gelingt, die erkennbar gesetzten Grenzen zu respektieren und an ihnen zu wachsen. Die Postwachstumsgesellschaft braucht Handwerk mehr denn je und in all seinen Ausprägungen. Wachstum bleibt auch in Zukunft möglich, wenn wir es in anderen Kategorien, Bildung, persönliche Entwicklung, Meisterschaft, kulturelle Vielfalt, gutes Leben deklinieren. Je enger der natürliche Rahmen ist, in dem sich Kulturen entfalten, desto mehr Wissen und Können brauchen sie, aus wenig viel zu machen.“  

(ifh Band 82, Quo vadis Handwerk?, Beitrag Christine Ax, S.199)